Am Tag nach der Beinahe-Unabhängigkeit Kataloniens haben die Menschen in Barcelona gemischte Gefühle. Die Aussetzung des Abspaltungs-Prozesses durch Ministerpräsident Carles Puigdemont ist das beherrschende Thema. In seiner Parlaments-Ansprache hatte der Chef der Regionalregierung Verhandlungen angekündigt.
“Pause für Dialog” oder “Auszeit für die Unabhängigkeit” titelten die regionalen Tageszeitungen am Mittwoch. Radikale Unabhängigkeitsbefürworter, etwa die Anhänger der antikapitalistischen Partei CUP sind enttäuscht von Puigdemonts Schritt. Sie sehen seine Rede als Fiasko. Teilweise ist auch von Verwirrung, Ratlosigkeit und Misstrauen die Rede.
Die meisten Menschen auf den Straßen der Hauptstadt der Region sehen es aber wie Rentner Joan Mateo: “Ich denke, es ist eine Gelegenheit, den Streit zu schlichten und eine Vereinbarung zu treffen. Es hat doch niemand Interesse daran, dass der Konflikt weitergeht.”
Für Laura Freixa ist die Entscheidung, die Unabhängigkeit aufzuschieben, ein Schock. Aber sie glaube trotzdem, dass es der richtige Schritt sei: “Allerdinge denke ich nicht, dass Spanien verhandeln will.”
Die Verwirrung über die Lage hat aber auch die Verfechter der Unabhängigkeit Kataloniens ergriffen. “Er hat die Unabhängigkeit
erklärt, aber sie gleich wieder ausgesetzt», entfuhr es einem sichtlich ernüchterten Zuschauer der Rede Puigdemonts am
Dienstagabend vor dem Parlament in Barcelona. “Stimmt doch gar nicht, er hat die Unabhängigkeit verschoben”, fährt ihm ein Mann dazwischen.
Auf die Frage, wo da genau der Unterschied zu sehen sei, lange Gesichter und Schweigen. “Ich bin nicht glücklich über die Rede, aber es war wohl das einzige, was Puigdemont sagen konnte”, versucht sich einer der Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung die Lage schön zu reden. “Jetzt muss Madrid endlich mit uns verhandeln”, sagt ein anderer.
Auf den Cafés und auf den Straßen der Landeshauptstadt hören sich die Kommentare ganz anders an. Ein pensionierter Anwalt spricht das aus, was viele wollen und hoffen: “Dieser Puigdemont soll für die nächsten 100 Jahre hinter Gitter gesteckt werden und dort auch verrecken.”