Rumänien: Warten auf Schengen...

2015-04-10 44

Kapitän Popa sichert die Außengrenzen der Europäischen Union. Rumänien ist mit etwas völlig Neuem konfrontiert: Flüchtlinge, die von der Türkei aus mit kleinen Booten nach Europa kommen. Noch ist die Zahl der Bootsflüchtlinge im Schwarzen Meer gering – doch sie wächst.

Wenn sich Kapitän Popa frühmorgens auf den Weg zu seinem Schiff macht, schläft sein siebenjähriger Sohn noch tief. Das Schwarze Meer zeigt sich heute von seiner ungemütlichen Seite: der Wind peitscht kalten Regen über die Wellen.

Kapitän Popa verfolgt Schleuserbanden – und rettet Flüchtlinge. Heute ist es nur eine Übung. Vor wenigen Tagen war es Ernst. Es war mitten in der Nacht, die steife Brise ging über in einen Sturm… “Wir entdeckten ein vor sich hin driftendes Boot, ohne Positionslichter. An Bord war keine Menschenseele zu sehen… Wie ein Geisterschiff… Doch nach zehn Minuten erschienen nach und nach etwa zwanzig Menschen an Deck: Frauen, Männer… und ein kleines Kind… Ich weiss noch, wie ich bei mir dachte: das Kind lächelt ja, und das nach zwei oder drei Tagen auf rauher See… Das Lächeln dieses Kindes zu sehen, hat mich glücklich gemacht,” erzählt Popa.

Kapitän Popa hat das Leben der kleinen Huner gerettet. Huner wurde vor fünf Monaten in einem türkischen Zeltlager für syrische Flüchtlinge geboren. Huner bedeutet: Kunst. Denn Huners Eltern haben einen Traum: ihre Tochter soll Musikerin werden. Ali und seine hochschwangere Frau flohen vor islamistischen Mörderbanden aus Kobane, im Norden Syriens. Sie sind Kurden, Jesiden. 6000 Euro musste das Paar bezahlen, um nach Europa weitergeschmuggelt zu werden. Zunächst wollten die Schleuser die Familie über einen türkischen Mittelmeerhafen Richtung Europa schicken, das war um die Jahreswende. Doch dann änderten die Menschenschmuggler plötzlich ihre Meinung, schickten Vater Ali, seine Frau und Baby Huner weiter – Richtung Schwarzes Meer, Richtung Rumänien.

Ali und seine kleine Familie haben eine wahre Odyssee hinter sich und zum Teil Schreckliches erlebt: “Ich bin gerade einmal 27 Jahre alt. Ich habe den Krieg gesehen. Ich habe getötete Menschen gesehen. Ich habe Menschen gesehen, die vor meinen Augen starben. Bei den Gefechten nahe der türkischen Grenze musste ich mit ansehen, wie Menschen durch die Explosionen die Beine abgerissen wurden… ich kannte diesen Mann gut… und ich sehe ihn sterben… er verliert sein Leben… das ist kaum auszuhalten… Deine Heimat wird zerstört, Dein Heim, Dein Haus… in einem einzigen Augenblick fliegt alles in die Luft, verschwindet…,” so Ali.

Kapitän Popas stammt aus Moldawien. Sein Vater und Großvater waren beide Priester. Helfen und retten ist bei den Popas Familientradition. Auf die Menschenschmuggler ist Kapitän Popa wütend: denn die Fahrt über das Schwarze Meer ist lebensgefährlich. Baby Huner, seine Mutter und Vater Ali waren mit 70 weiteren Flüchtlingen “auf einem winzigen Holzboot zusammengepfercht“https://www.facebook.com/photo.php?fbid=396770317160812&set=a.116320395205807.21336.100004835403019&type=1&theater:. Ebenfalls mit an Bord: drei türkische Schleuser, Kapitän Popa nahm sie fest.

In diesem Fall haben alle Flüchtlinge überlebt. Das ist nicht immer so.Als Ende 2014 ein anderes Flüchtlingsboot von Istanbul Richtung Rumänien aufbrach und sank, ertranken 24 Menschen.

Grenzpolizistin Madalina Zamfir im Schwarz-Meer-Überwachungszentrum Constanta arbeitet eng mit Kapitän Popa zusammen. Das Team ist sich einig: Keine Chance für Schlepperbanden. Madalina betont: “Niemand kann unbemerkt die Europäischen Union betreten. Unsere Ausrüstung ist top. Damit können wir auch kleine Boote mit weniger als zwanzig Metern Länge über eine Entfernung von zwölf Seemeilen entdecken.”

Während Kapitän Popas Männer ihre Rettungsübung beenden, werfen wir einen Blick in die Vergangenheit: vor 30 Jahren wurde die Schengen-Vereinbarung getroffen, es begann der Abbau der Grenzkontrollen innerhalb Europas. An den Außengrenzen der EU wird hingegen sehr viel schärfer kontrolliert. Irland und Großbritannien machen nicht mit bei Schengen. Zypern, Kroatien, Bulgarien und Rumänien möchten gerne Mitglied werden im Schengen-Club – dürfen aber noch nicht. “Gefordert sind weitere Anstrengungen bei Justizreform und Korruptionsbekämpfung.”:
http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/13041_de.htm

Sonnenaufgang am Donau-Ufer. Wir sind in Galati. Die von Kapitän Popa geretteten Bootsflüchtlinge haben in einem von der EU finanzierten Asylbewerberheim Unterschlupf gefunden. Ein Mann aus Aleppo will unerkannt bleiben, seine Kinder sind noch in Syrien. Die Schlepper sind allesamt Lügner, sagt er. Er hat es am eigenen Leib erfahren: “Die türkischen Menschenhändler schickten mir per Mobiltelephon Fotos einer Fünf-Sterne-Luxus-Yacht. Damit werde die Fahrt über das Schwarze Meer von der Türkei bis nach Rumänien nur zehn Stunden dauern, haben die behauptet. Doch am Treffpunkt war keine Yacht, alles Schwindel, nur ein verrottetes Holzboot ohne Vorräte… statt zehn Stunden brauchten wir 48.