Mit dem diesjährigen Nobelpreis für Wirtschaft ist der französische Forscher Jean Tirole ausgezeichnet worden. Er ist wissenschaftlicher Direktor des “Institut d‘économie industrielle” (IDEI) an der Universität von Toulouse. “Als Autor von wichtigen theoretischen Beiträgen in vielen Bereichen, ist Jean Tirole einer der einflussreichsten Ökonomen unserer Zeit”, begründete die Nobelpreisjury ihre Entscheidung. Euronews traf den unbekannten Berühmten in Toulouse.
Euronews-Reporter Antoine Juillard: “Zuallererst Jean Tirole, herzlichen Glückwunsch zum Nobelpreis. Eine großartige Ehrung, für Sie und auch für Frankreich. Zu Beginn möchte ich Ihnen ein bisschen Arbeit machen: Sie wurden von der Jury für ihre “Analyse der Macht der Märkte und der Regulierung” ausgezeichnet. Was bedeutet das? Geben Sie den Zuschauern von euronews doch bitte ein-, zwei Beispiele.”
Wirtschaftsnobelpreisträger Jean Tirole: “Es bedeutet, die Märkte effizienter zu gestalten, denn man kann das Laissez-faire nicht auf allen Märkten zulassen. Bestimmte Märkte sind nicht wettbewerbsfähig, es gibt Schwierigkeiten, weil es nur wenige Unternehmen gibt. Es gibt bestimmte Segmente, in denen es noch immer relativ wenige Firmen gibt. Beispielsweise das Stromübertragungsnetz: Wir haben nicht 15 (Transportnetze) in Frankreich, es gibt nur ein einziges. Wir haben also das, was man Marktmacht nennt: Das bedeutet, dass die Unternehmen ihre Marktmacht erhöhen und den Nutzern hohe Preise diktieren können.
Die Idee unserer Forschung hier in Toulouse und auch anderswo zielt darauf ab, Leitlinien für das Wettbewerbsrecht zu erstellen. Das erlaubt uns zu sagen: “Man muss diese Unternehmer überwachen, manchmal muss man eingreifen, aber ohne die Dynamik der Branche zu zerstören.”
Euronews: “Derzeit prüft die Europäische Kommission die Haushaltsentwürfe der Mitgliedsländer, darunter auch Frankreich. Das ist die Gelegenheit, von dieser extrem gefährlichen Übung für einen Staat zu sprechen, die darin besteht, die öffentlichen Ausgaben zu kontrollieren und gleichzeitig genügend Treibstoff für die Entwicklung der Wirtschaft und des Wachstums zu liefern.”
Jean Tirole: “Dass ein Staatshaushalt in Zeiten der Rezession im Defizit ist, ist fast normal, es gibt weniger Steuereinnahmen etc. Das große Problem Frankreichs ist sein Defizit von drei Prozent, auch wenn die Dinge gut laufen. Seit 1974 gibt es keinen ausgeglichenen Haushalt, seit 40 Jahren. Das ist sehr problematisch, denn das bedeutet, dass man auf Kredit des Auslands lebt. Man muss das also kontrollieren, aber das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht einfach. Sicherlich muss man sich anstrengen, aber man kann auch nicht sehr viel weiter gehen.”
Euronews: “Ein europäisches Budget wäre ideal für die Integration Europas. Ist das Ihrer Meinung nach eine Utopie?”
Jean Tirole: “Uns fehlte ein bisschen die historische Chance, ein europäisches Budget zu schaffen. Die Vereinigten Staaten sind die Vereinigten Staaten der Budgets. Das heißt, wenn es einem Staat schlecht geht, bekommt er automatisch Hilfszahlungen: zum Beispiel bei der Arbeitslosenversicherung etc.. Er bekommt automatisch Transferzahlungen von Staaten, denen es besser geht. In Europa ist das überhaupt nicht so, denn der EU-Haushalt ist unerheblich: Es gibt praktisch keinen europäischen Haushalt, er liegt bei einem Prozent (des europäischen Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union), das ist sehr wenig. Es gibt keine dieser automatischen Transfers, die ein Land stabilisieren. Und wir haben auch keine einheitliche Rechtsordnung. Sprechen wir beispielsweise vom Arbeitsmarkt: In den USA gibt es einen Arbeitsmarkt mit ähnlichen Gesetzen in Kalifornien und dem Staat New York. Das gibt es nicht für Süd- und Nordeuropa. Man müsste ein Europa mit ähnlichen Haushaltsgesetzen haben: für Bereiche wie den Arbeitsmarkt, Konkurse usw. Das hat man nicht gemacht – man hat bereits viel getan, das ist schwierig gewesen – aktuell sehe ich schwarz für Nordeuropa – leider, denn ich würde gern sehen, dass Nordeuropa akzeptiert, die Arbeitslosenversicherung, die Budgets usw. mit Südeuropa zu teilen.”
Euronews: “Sie sind Mitglied des Rates der Wirtschaftsexperten. Zusammen mit ihren Kollegen geben Sie dem Stab des französischen Ministerpräsidenten Ratschläge zu verschiedenen Wirtschaftsthemen. Werden sie gehört und werden ihre Vorschläge manchmal verwirklicht?”
Jean Tirole: “Unsere Ratschläge werden manchmal tatsächlich befolgt, das geht sehr langsam, aber das ist normal. Sie wissen, das Keynes spottete: ‘Politiker hören auf verblichene Ökonomen, deren Stimme sie zu hören meinen, wenn sie Entscheidungen treffen’. Das ist ein bisschen übertrieben, aber es stimmt, es braucht Zeit, vor allem wenn es die Politik, wenn es sensible Themen betrifft. Ein Beispiel ist die Reform des Arbeitsmarktes, das schafft viele Bedenken, das ist normal für viele Menschen. Es ist schwierig für die Politik, denn sie muss mit der öffentlichen Meinung umgehen, das ist ihre Aufgabe. Es geht viel sch